#46 – Klaipėda, Nida & Palanga
Meine letzte Reise in Litauen ging nach Klaipėda, Nida und Palanga ans Meer. Ich reiste mit Nana aus Japan zusammen. Für die vierstündige Zugfahrt durch sattgrünes Land zahlten wir nur elf Euro. Nana schlief sofort ein. Ich hörte eine Folge über das Attentat an Daphne Caruana Galizia und anschließend meine Road-Trip/Train-Track-Playlist. Auf dem Klapptisch eine Reihe weiter stand ein kleiner Käfig mit einer riesigen, grauen Maus mit riesigen Ohren, höchstwahrscheinlich war es keine Maus.
Gegen 15 Uhr kamen wir in Klaipėda an. Eine Autoampel leuchtete Grün. Beim ersten Mal trauten wir uns nicht über die Straße, später stellte ich fest, dass in Klaipėda einige Fußgängerampeln Kreise anstelle von Männchen zeigen.
Das Klaipėda Hostel liegt vier Minuten vom Bahnhof entfernt direkt neben dem Busbahnhof. Wir hatten Betten in einem 11-Bett-Zimmer gebucht, bekamen aber welche in einem 6-Bett-Zimmer zum selben Preis, weil dort noch welche frei waren. Richtig nett. Ein rundlicher Mann lief halbnackt an uns vorbei, als wir an den Schließfächern standen, für deren Schlüssel wir nicht mal einen Euro einwerfen mussten. Unsere Betten waren schon bezogen, sogar Handtücher lagen darauf. Und das für nur 15 Euro die Nacht. In der kleinen Küche sagte Nana plötzlich: „Hi!“
Die junge Frau, die auf einem der Sofas saß, grüßte zurück und sagte, wie klein Litauen doch sei. Nana meinte, sie wohne in unserem Wohnheim in Vilnius. Wie groß unser Wohnheim doch ist – ich hatte sie nie gesehen.
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My last trip in Lithuania was to Klaipėda, Nida and Palanga by the sea. I travelled together with Nana from Japan. We paid only eleven euros for the four-hour train ride through lush green country. Nana fell asleep immediately. I listened to an episode about the assassination of Daphne Caruana Galizia and then to my road trip/train track playlist. On the folding table one row over was a small cage with a huge grey mouse with huge ears, most likely it was not a mouse.
Around 3 pm we arrived in Klaipėda. A car traffic light was green. The first time we didn’t dare cross the road, later I noticed that in Klaipėda some pedestrian lights show circles instead of males.
The Klaipėda Hostel is four minutes from the train station, right next to the bus station. We had booked beds in an 11-bed room, but got some in a 6-bed room for the same price because there were still some free. Really nice. A chubby man walked past us half-naked as we stood at the lockers, for which we didn’t even have to put in a euro for the key. Our beds were already made, even towels were on them. And all that for only 15 euros a night. In the small kitchen, Nana suddenly said, „Hi!“
The young woman sitting on one of the sofas greeted back and said how small Lithuania was. Nana said she lived in our dormitory in Vilnius. How big our dormitory is – I had never seen her.
Die erste lange Hauptstraße der Innenstadt war vierspurig mit Geschäften auf beiden Straßenseiten. Klappräder fuhren auf den Bürgersteigen. Im erstbesten Restaurant aßen wir Spaghetti, die wie Seetang in Sahnesoße schwammen. Die Chiasamen konnten das Gemüse nicht ersetzen. Als ich nach den Nudeln noch hungrig war, aß ich erst die Samen, dann die ganze Soße, was mich auch nicht sättigte.
Danach folgten wir weiter der Hauptstraße, den Autoampeln, die für Fußgänger gedacht waren, und erreichten einen Fluss. Ein Bus brachte die Brücke und uns darauf zum Beben, sodass wir sie schnellstmöglich verließen.
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The first long main street of the city centre was four-lane with shops on both sides of the street. Folding bikes rode on the pavements. At the first restaurant we ate spaghetti that floated like seaweed in cream sauce. The chia seeds could not replace the vegetables. Still hungry after the noodles, I ate the seeds first, then the whole sauce, which didn’t fill me up either.
After that, we continued to follow the main road, the car traffic lights meant for pedestrians, and reached a river. A bus made the bridge and us on it shake, so we left it as quickly as possible.
Die Brücke markiert offenbar die Grenze zum schöneren Teil der Stadt. Ein Klingeln ertönte, ein Fahrradfahrer rauschte an uns vorbei. Die glatten Steine waren anscheinend ein Fahrradweg – schon zum zweiten Mal nicht erkennbar. In der Hauptstraße verläuft ein roter Weg, auf dem Fußgänger abgebildet sind. Dann kommt ein Fußgängerüberweg und dahinter verläft der Weg rot weiter – nur mit weiß skizzierten Fahrrädern darauf. Verwirrend wie die Ampeln.
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The bridge apparently marks the border to the nicer part of the city. A bell sounded, a cyclist whizzed past us. The smooth stones were apparently a bicycle path – not recognisable for the second time. In the main street there is a red path with pedestrians on it. Then comes a pedestrian crossing and behind it the path continues red – only with bicycles sketched on it in white. Confusing like the traffic lights.
Wir kamen zum Hafen, wo wir mit der Fähre auf die Kurische Nehrung übesetzten. Die Kurische Nehrung ist ein 98 Kilometer langer Halbinselstreifen, der vom russischen Kaliningrad (früher Königsberg) abgeht. 52 Kilometer gehören zu Litauen, 46 zu Russland.
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We arrived at the harbour where we took the ferry to the Curonian Spit. The Curonian Spit is a 98-kilometre-long peninsula strip leading from the Russian city of Kaliningrad (formerly Königsberg). 52 kilometres belong to Lithuania, 46 to Russia.
Auf der Halbinsel standen ein paar geschlossene Buden, ein Eisstand hatte geöffnet. In der Hoffnung auf einen Fahrradverleih suchten wir die Tourismusinformation, fanden aber nur eine verlassene Holzhütte vor. Als wir die Straße in Richtung Spitze der Kurischen Nehrung entlang liefen, raste ein roter VW-Bus dreimal an uns vorbei. Wir hielten vier Fahrradfahrer*innen an und fragten nach einem Fahrradverleih, aber sie wussten von keinem und bezweifelten, dass wir außerhalb der Hauptsaison einen geöffneten finden würden. Meter weiter stießen wir auf ein Freilichtmuseum, dessen Holzhäuser abgeschlossen waren. Drumherum blühte Flieder, den Nana nicht kannte. Er duftete nur wenig.
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On the peninsula there were a few closed stalls, an ice cream stand was open. Hoping to find a bicycle rental, we looked for the tourist information, but found only an abandoned wooden hut. As we walked along the road towards the tip of the Curonian Spit, a red VW bus sped past us three times. We stopped four cyclists and asked for a bicycle rental, but they didn’t know of any and doubted that we would find one open outside the high season. Metres further on, we came across an open-air museum whose wooden houses were locked. Lilacs, which Nana did not know, were in bloom around them. It was only slightly fragrant.
Auf das Freilichtmuseum folgte eine Schiffsausstellung, dahinter das Litauische Meeresmuseum mit Delfinarium, das nur freitags und wochenends geöffnet hat. Ich hörte den Ruf eines Delfins und bedauerte, an all den Orten, die ich bereist hatte, noch nie einen gesehen zu haben, auch diesmal, so kurz davor, nicht. Bis zum offenen Meer waren es nur noch wenige Schritte.
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Auf das Freilichtmuseum folgte eine Schiffsausstellung, dahinter das Litauische Meeresmuseum mit Delfinarium, das nur freitags und wochenends geöffnet hat. Ich hörte den Ruf eines Delfins und bedauerte, an all den Orten, die ich bereist hatte, noch nie einen gesehen zu haben, auch diesmal, so kurz davor, nicht. Bis zum offenen Meer waren es nur noch wenige Schritte.
Nana fiel es schwerer, über den Sand zu laufen. Wir liefen den feuchten Streifen am Wasser entlang. Ich habe noch nie so viele tote Fische und andere Meerestiere (darunter eine Seegurke) auf einmal gesehen, manche frisch, andere ausgetrocknet. Eine Frau ging nackt ins Wasser, der sinkenden Sonne entgegen, eine andere, kräftigere Frau saß ebenfalls nackt auf einer der Treppen, die die Dünen hinaufführten. Wir nahmen die nächste Treppe und den direkten Weg zur Fähre durch den Kiefernwald zurück. Dort war es fast still.
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Nana found it harder to walk across the sand. We walked along the wet strip by the water. I have never seen so many dead fish and other sea creatures (including a sea cucumber) at once, some fresh, some dried out. One woman walked naked into the water, towards the sinking sun, another, stronger woman also sat naked on one of the stairs leading up the dunes. We took the next set of stairs and the direct route back to the ferry through the pine forest. It was almost silent there.
Wieder auf dem Festland, sahen wir uns den Schwarzen Geist von Klaipeda an. Die Brücke, die zu ihm führte, war zuerst eingezogen und wir konnten ihn nur von hinten sehen.
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Back on the mainland, we went to see the Black Ghost of Klaipeda. The bridge leading to him was retracted first and we could only see him from behind.
Als wir schon umgekehrt waren, wurde die Brücke gedreht, sodass wir darüber laufen konnten.
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When we had already turned around, the bridge was turned so that we could walk across it.
Der Geist war innen hohl. Kinder setzten sich in das Gewand und wurden fotografiert. Nana fragte mich, ob auch ich mich hinein hocken wolle und ich dachte, das wäre ein Scherz, ich bin viel zu groß dafür. Dann fiel mir wieder ein, wie klein und zierlich Nana ist, sie passte fast hinein.
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The ghost was hollow inside. Children sat down in the robe and were photographed. Nana asked me if I wanted to squat inside too and I thought it was a joke, I’m much too big for that. Then I remembered how small and petite Nana is, she almost fit inside.
Ich mochte Nanas langsames, kleinschrittiges Tempo. Wir bewegten uns wie im Energiesparmodus, standen nie still, aber fühlten uns erst am Ende des Tages erschöpft.
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I liked Nana’s slow, small-step pace. We moved as if in energy-saving mode, never standing still, but only feeling exhausted at the end of the day.
Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Bus nach Nida. Der Bus fuhr auf die Fähre und dann über eine Stunde lang durch den Kiefernwald der Kurischen Nehrung. Ich hatte Lieder wie Mull of Kintyre und Let’s Move to the Country auf den Ohren.
Gegen 12:40 Uhr kamen wir an. Wir hatten nur knapp vier Stunden Zeit, der letzte Bus fuhr um 16:30 Uhr zurück.
Über die Road of Lights (oder so ähnlich) liefen wir zu Thomas Manns Ferienhaus, das ganz oben auf unserer Liste stand.
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The next day we went by bus to Nida. The bus drove onto the ferry and then for over an hour through the pine forest of the Curonian Spit. I had songs like Mull of Kintyre and Let’s Move to the Country on my ears.
Around 12:40 we arrived. We only had just under four hours, the last bus left at 16:30.
Via the Road of Lights (or something like that) we walked to Thomas Mann’s holiday home, which was at the top of our list.
Am Anfang dieser Straße sitzt Vytautas Kernagis, ein Musiker und Pionier der Gesangspoesie in Litauen. Ein Freund aus Deutschland, dessen Mutter Litauerin ist, hatte zwei Lieder von ihm übersetzt: Išeinu und Paukščio sapnas. Im ersten spielen Honig und Naturbewusstsein eine Rolle, im zweiten geht es um den Traum eines Vogels; beide Texte sind melancholisch, fantasievoll und schön. Als dieser Freund zu Besuch in Vilnius war, durchstreiften wir zusammen die Buchläden. Er übersetzte mir die Buchrücken und ich war begeistert, was für schöne litauische Ausgaben es gibt, darunter eine von Buddenbrooks.
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At the beginning of this street sits Vytautas Kernagis, a musician and pioneer of vocal poetry in Lithuania. A friend from Germany, whose mother is Lithuanian, had translated two of his songs: Išeinu and Paukščio sapnas, the first about honey and nature awareness, the second about a bird’s dream; both lyrics are melancholic, imaginative and beautiful. When this friend was visiting Vilnius, we roamed the bookshops together. He translated the spines for me and I was thrilled to see what beautiful Lithuanian editions there were, including one of Buddenbrooks.
In der nächsten Straße standen Bernsteinstände. Eine Gruppe älterer Deutscher ging an uns vorbei, ich hörte eine Frau sagen: „Es ist gut, dass du die Kette nicht gekauft hast. Bernstein muss die Farbe von Bernstein haben.“
Dabei kann Bernstein ganz unterschiedliche Farben haben. Seine Hauptfarbe ist Gelb, aber er kann je nach Anzahl der Terpentingasblasen weiß bis braun, sogar rötlich sein. Je mehr Blasen er aufweist, desto heller ist er. Verunreinigungen können ihm überdies einen blauen oder grünen Farbton geben.
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In the next street there were amber stalls. A group of older Germans walked past us, I heard a woman say, „It’s good that you didn’t buy the necklace. Amber must have the colour of amber.“
Yet amber can have very different colours. Its main colour is yellow, but it can be white to brown, even reddish, depending on the number of turpentine gas bubbles. The more bubbles it has, the lighter it is. Impurities can also give it a blue or green hue.
Thomas Mann verbrachte die Sommer 1930, 1931 und 1932 in seiner Sommerresidenz in Nida. Im Jahr 1933 musste seine Familie emigrieren und kam nie mehr nach Nida zurück. Das auf einem Hügel gelegene Holzhaus mit kiefergerahmtem Blick auf das Kurische Haff und kleinem Garten beherbergt heute ein Museum, für das wir nur einen Euro Eintritt zahlten.
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Thomas Mann spent the summers of 1930, 1931 and 1932 at his summer residence in Nida. In 1933 his family had to emigrate and never returned to Nida. The wooden house, situated on a hill with a pine-framed view of the Curonian Lagoon and a small garden, now houses a museum for which we only paid an entrance fee of one euro.
In einem Raum des Erdgeschosses hängen Plakate über Thomas Manns Kinder und deren Werke, in einem anderen stehen Zitate, ein Bronzekopf sowie eine Protestschrift Thomas Manns gegen den Nationalsozialismus. Infotafeln ohne englische Übersetzung übersetzte ich Nana.
Ich freue mich heute schon wieder über unseren nächstjährigen Aufenthalt in Nidden. Der eigenartige Charakter dieses Landstriches hat nichts Einschmeichelndes, er ist nicht schön im konzilianten Sinne, aber er kann einem ans Herz wachsen, davon kann ich ein Lied singen und habe es heute versucht.
Thomas Mann, „Mein Sommerhaus“
Welchen Eindruck Nidden, seine unglaubwürdige Dünenlandschaft, seine herrlichen Wälder, sein wildes Meer, die Idyllik seines Haffstrandes auf mich gemacht, das habe ich pantomimisch angedeutet, indem ich mir ein Sommerhäuschen dort errichtete, wo ich fortan mit meinen Schulpflichtigen die grossen Ferien verbringen will. Was will ich noch Worte machen? Es wäre überhaupt nicht klug, das zu tun, und ohnehin fürchte ich mein Beispiel. Nidden ist wunderschön, aber reden wir nicht zu laut davon, damit nicht die Welt es entdecke und sich mit der ihr eigenen lächerlichen Sehnsucht auf seinen Frieden stürze, um ihn zu zerstören.
Thomas Mann
Im oberen Stockwerk ging es um die Beziehung zwischen den Autoren-Brüdern Thomas und Heinrich Mann. Thomas, familienorientiert und bodenständig, und Heinrich, sozialdemokratisch orientiert und Weltenbummler. Deutschnationale Äußerungen Thomas Manns führten 1914 zum Bruch, erst 1922 versöhnten sich die beiden wieder.
Sowohl Thomas Manns ehemaliges Schlafzimmer als auch das Arbeitszimmer, in dem seine Werke ein ganzes Regal füllen, zeigen zum Wasser hinaus. Jahre, bevor er sie bewohnte, schreibt er:
Er fürchtete sich vor dem Sommer auf dem Lande, allein in dem kleinen Hause […]; fürchtete sich vor den vertrauten Angesichten der Berggipfel und -wände, die wiederum seine unzufriedene Langsamkeit umstehen würden.
Thomas Mann, „Der Tod in Venedig“
Ich lud Der Tod in Venedig auf mein Handy, las das erste Kapitel, das von Fernweh handelt, am Abend und den Rest der Novelle am nächsten Tag im Bus.
Es war Reiselust, nichts weiter; aber wahrhaft als Anfall auftretend und ins Leidenschaftliche, ja bis zur Sinnestäuschung gesteigert. Er sah nämlich […] eine von Menschen gemiedene Urweltwildnis […].
Thomas Mann, „Der Tod in Venedig“
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In one room on the ground floor there are posters about Thomas Mann’s children and their works, in another there are quotations, a bronze head and a protest pamphlet by Thomas Mann against National Socialism. I translated the information boards without English translations for Nana.
I am already looking forward to our stay in Nidden next year. The peculiar character of this region is not intimidating, it is not beautiful in the conciliatory sense, but it can grow on you, I can tell you a thing or two about that and I tried it today.
Thomas Mann
The impression that Nidden, its incredible dune landscape, its magnificent forests, its wild sea, the idyllic nature of its lagoon beach, made on me, I have mimed by building a summer cottage there, where from now on I want to spend the big holidays with my school-age children. What more words do I want to make? It would not be at all wise to do so, and anyway I fear my example. Nidden is beautiful, but let’s not talk about it too loudly, lest the world discover it and pounce on its peace with its own ridiculous longing to destroy it.
Thomas Mann
The upper floor was about the relationship between the author brothers Thomas and Heinrich Mann. Thomas, family-oriented and down-to-earth, and Heinrich, social-democrat-oriented and globetrotter. Thomas Mann’s German nationalist statements led to a rift in 1914, and the two were not reconciled until 1922.
Both Thomas Mann’s former bedroom and the study, where his works fill an entire shelf, face the water. Years before he inhabited them, he wrote:
He dreaded the summer in the country, alone in the little house […]; dreaded the familiar faces of the mountain peaks and walls that would in turn surround his discontented slowness.
Thomas Mann, „Death in Venice“
I downloaded Death in Venice on my mobile, read the first chapter, which is about wanderlust, in the evening and the rest of the novella the next day on the bus.
It was wanderlust, nothing more; but truly occurring as a seizure and heightened to the point of passion, even to the point of sensory delusion. He saw […] a primeval wilderness avoided by man […].
Thomas Mann, „Death in Venice“
Man könnte meinen, die Dünenlandschaft in Nida wäre mit „Urweltwildnis“ gemeint. Nachdem Nana und ich in der einheimischen Bäckerei Gardumėlis ein Stück Kuchen gegessen hatten, machten wir einen langen Spaziergang zu den Dünen. Über eine Treppe und Holzwege stiegen wir sie hoch. Wir kamen an einer Sonnenuhr mit der Inschrift „lucem demonstrat umbra“ vorbei.
„Das Licht zeigt den Schatten“, sagte ein Mann.
„Nein, lucem ist doch Akkusativ“, sagte eine Frau. „Der Schatten zeigt das Licht.“
„Ohne Schatten gibt es kein Licht, man muss auch die Nacht kennenlernen“, sagt Albert Camus.
Es war verboten, über den Sand zu laufen. Die auf einer Karte rot markierte Verbotszone erstreckte sich wie ein Todesstreifen bis zur russischen Grenze. Nur ein Stück hinter dem Waldstück liegt Russland, wir konnten es sehen.
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One might think the dune landscape in Nida meant „primeval wilderness“. After Nana and I had a piece of cake at the local bakery Gardumėlis, we took a long walk to the dunes. We climbed them via stairs and wooden paths. We passed a sundial with the inscription „lucem demonstrat umbra“.
„The light shows the shadow,“ said a man.
„No, lucem is accusative,“ said a woman. „The shadow shows the light.“
„Without shadow there is no light, one must also know the night,“ said Albert Camus.
It was forbidden to walk across the sand. The forbidden zone marked in red on a map extended like a death strip to the Russian border. Just a bit behind the patch of forest lies Russia, we could see it.
Für Minigolf war anschließend keine Zeit mehr, aber für ein Eis. Mücken attackierten uns. Wir warteten auf den Bus, der uns zurück nach Klaipėda brachte. Dort aßen wir im Etno Dvaras am Theaterplatz Kartoffelpudding zu Abend, sahen eine Meerjungfrau, einen Liebesbaum voll Liebesschlösser seit 2014, Marienkäfer und ein Schiff voll Erde, aus denen bald Blumen sprießen würden, Zierlauch und tanzende Paare auf einem Platz, dessen Musik das Stillleben der umliegenden Straßen erfüllte.
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There was no time for mini-golf afterwards, but for an ice cream. Mosquitoes attacked us. We waited for the bus to take us back to Klaipėda. There we had dinner at Etno Dvaras on Theatre Square, saw a mermaid, a love tree full of love locks since 2014, ladybirds and a ship full of soil from which flowers would soon sprout, ornamental garlic and dancing couples in a square whose music filled the still life of the surrounding streets.
Der Bus nach Palanga fuhr am nächsten Morgen um 10 Uhr ab, eine halbe Stunde später waren wir da. Zum Stadtzentrum liefen wir an Einfamilienhäusern mit schmucken Vorgärten vorbei.
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The bus to Palanga left the next morning at 10 am, and we were there half an hour later. We walked to the town centre past detached houses with pretty front gardens.
Palanga wirkte gepflegt und hellgrün, es war fast Sommer. Ein Fahrradverleih bot Vierräder mit Dach an. Schon vor der Fußgängerzone stand eine Reihe gelber Stände. Wir besichtigten eine Backsteinkirche, das letzte Gebäude älterer Kultur vor der Straße, die zum Strand führt und in der sich Restaurants, Süßigkeiten- und Spielzeugstände sowie Fahrgeschäfte für Kinder aneinanderreihen. Ein Illusionenmuseum (9€), ein Minigolfplatz (6€) und ein Riesenrad (14€) scheinen die Hauptattraktionen zu sein.
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Palanga looked well-kept and bright green, it was almost summer. A bicycle rental shop offered four-wheelers with roofs. Even before we reached the pedestrian zone, there was a row of yellow stalls. We visited a brick church, the last building of older culture before the road leading to the beach, where restaurants, sweet and toy stalls and rides for children are lined up. An illusion museum (9€), a mini golf course (6€) and a Ferris wheel (14€) seem to be the main attractions.
Schließlich erreichten wir den Strand, wo bereits mehr los, der aber noch nicht überlaufen war. Wir gingen den langen Holzsteg bis ans Ende, wo Angler standen und Menschen auf eine weiße Leinwand gekritzelt hatten. Ich hatte Lust, mich ans Wasser in den Sand zu legen, aber Nana scheute die Sonne; in Japan ist möglichst weiß Schönheitsideal.
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Finally we reached the beach, which was already busier but not yet crowded. We walked along the long wooden jetty to the end, where fishermen were standing and people had scribbled on a white canvas. I felt like lying down on the sand by the water, but Nana shied away from the sun; in Japan, the ideal of beauty is as white as possible.
Wir setzten uns in den Schatten einer Strandbar. In Jeans und Joggingschuhen war mir heiß.
„Come stai“, fragte ein älterer Mann mit Bierbauch und Bier und Handy am Ohr. Offenbar machen hier nicht nur Litauer*innen Urlaub.
Ich beschloss, mit den Füßen ins Wasser zu gehen. Nana kostete es Überwindung, aber sie folgte meinem Beispiel, erst mit Flipflops, dann barfuß. Wir standen bestimmt eine Viertelstunde lang im Wasser, das ungemein guttat.
Dann machten wir uns auf den Weg zum Bernstein-Museum, das mitten in Palangas wunderschönem Waldpark (auf Google als Botanischer Garten bezeichnet) liegt.
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We sat down in the shade of a beach bar. I was hot in jeans and jogging shoes.
„Come stai,“ asked an older man with a beer belly and beer and a mobile phone to his ear. Apparently not only Lithuanians go on holiday here.
I decided to put my feet in the water. It took some effort on Nana’s part, but she followed my example, first with flip-flops, then barefoot. We stood in the water for about a quarter of an hour, which did us a world of good.
Then we went to the Amber Museum, which is in the middle of Palanga’s beautiful forest park (called Botanical Garden on Google).
Im Bernstein-Museum lernte ich, wie Bernstein entsteht: Harz aus Kiefern und anderen Nadelbäumen gelangte vor Millionen von Jahren ins Meer und wurde dort unter Luftabschluss und Druck zu Bernstein. Im Museum sind Exemplare ausgestellt, die längst ausgestorbene Insektenarten konservieren – in ganz verschiedenen Farben.
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In the Amber Museum I learned how amber is formed: Resin from pines and other conifers got into the sea millions of years ago and became amber there under air exclusion and pressure. The museum exhibits specimens that preserve long-extinct insect species – in very different colours.
3 Kommentare
P S
Traumhaft… und so schön geschrieben, es lebe das Wort
Norbert
Man bekommt sofort den Wunsch, dorthin zu reisen.
Herrliche Fotos, danke.
Don Esperanza
In dem Hostel in Klaipeda habe ich auch schon übernachtet allerdings schon2005, bei unserer Baltikum Radtour. Wir kamen aus Kaliningrad über Kurische Nehrung. In Nida hatten wir auch übernachtet. Litauen war ein Paradies im Vergleich zu Kaliningrad.