Die Psychologie hinter der Musik
Nach dem Beitrag Das war meine Musik: Das Warme in E-Musik über die Musik meiner Teenagerjahre habe ich mich gefragt: Warum mögen wir bestimmte Lieder und andere nicht? Sagen unsere Lieblingssongs etwas über uns aus? Verändert sich unser Musikgeschmack im Laufe des Lebens und wenn ja, warum? Ich habe recherchiert und dabei auch etwas darüber gelernt, warum wir überhaupt Musik hören, wie sie unsere Stimmung verändern und sogar beeinflussen kann, wen wir mögen.
Warum uns Musik so wichtig ist
Als Bonneville-Roussy und Kolleg*innen (2013) Studienteilnehmende zwischen 13 und 65 Jahren fragten, wie wichtig ihnen Musik sei, gaben 31% der Teilnehmenden an, eine Leidenschaft für Musik zu haben, 38% war Musik zumindest so wichtig wie andere Hobbies und 26% berichteten, dass sie Musik mögen, sie aber in ihrem Leben keine große Rolle spiele. Nur 5% interessierten sich weniger für Musik. Der Durchschnittsamerikaner hört in der Woche 18 Stunden Musik, das sind bei acht Stunden Schlaf pro Nacht 15% der Wachzeit (Rentfrow, 2012). In einer Studie, in der Teilnehmende sich untereinander bekannt machen sollten, war das häufigste Gesprächsthema Musik (Rentfrow & Gosling, 2006). Warum ist Musik für viele so wichtig? Weshalb hören wir so viel? Und warum reden wir so oft darüber?
Es gibt viele Gründe dafür, Musik zu hören: Um Zeit zu vertreiben, eine bestimmte Atmosphäre zu schaffen, mehr Aufregung zu empfinden, sich besser zu fühlen, sich besser konzentrieren zu können oder sich mit anderen auszutauschen. Die Gründe können sich von Person zu Person unterscheiden. Jüngere nutzen Musik beispielsweise mehr dafür, bestimmte Gefühle hervorzurufen und sich selbst auszudrücken, als Ältere. Menschen, die offen für Erfahrung sind, und intelligente Menschen tendieren eher dazu, sich mit Musik intellektuell zu stimulieren, während ängstliche Personen eher versuchen, mit Musik Gefühle in den Griff zu bekommen.
Vor allem aber hilft Musik Menschen – besonders jungen Menschen – zu erkennen, wer sie sind. Wir alle wollen möglichst genau über uns selbst Bescheid wissen. Dazu ziehen wir verschiedene Quellen heran: Wir vergleichen uns mit anderen, denken über uns nach und fragen andere, wie sie uns sehen. Und wir definieren uns über unsere Musik; sie drückt unsere Werte, Überzeugungen und Neigungen aus. Dabei wollen wir anderen ähnlich, aber zugleich einzigartig sein. Deshalb wählen wir optimalerweise die Musik, die uns nicht zu stark, aber ausreichend von anderen abgrenzt.
Doch nicht nur zur Selbsterkenntnis brauchen wir Techno, Hip-Hop, Indie oder Jazz. Die Musik, die wir hören, zeigt nicht nur uns selbst, sondern auch anderen, wer wir sind. So machen wir unsere Spotify-Playlists öffentlich, teilen unsere Lieblingssongs im Blog mit der Welt und versehen unsere Lieblingsbands auf Facebook mit „Gefällt mir“-Angaben. Wir glauben, dass unsere Lieblingsmusik etwas von uns preisgibt, und verraten sie anderen, damit sie uns erkennen. Studien zufolge gehen junge Leute sogar davon aus, dass ihre Musik mehr über sie aussagt als ihre Kleidung, Lieblingsbücher, Lieblingsfilme und Hobbies.
Tatsächlich haben Menschen sehr ähnliche Vorstellungen davon, wie Fans bestimmter Musikrichtungen sind. So gelten beispielsweise Fans klassischer Musik als weiß, wohlhabend, fleißig, zurückhaltend, unattraktiv, klug und künstlerisch, während Rap-Fans als gesellige, entspannte, sportliche und Bier trinkende Marihuanaraucher*innen gesehen werden. Und es überrascht nicht, dass in vielen dieser Vorurteile ein Funken Wahrheit steckt …
Wie wir sind, bestimmt, was wir hören
In der Vergangenheit untersuchten bereits einige Forschende, welche Musik Menschen mit bestimmten Eigenschaften mögen. Dabei zeigte sich etwa, dass Personen mit einer Vorliebe für anspruchsvolle Musikstile wie Klassik, Oper und Jazz offen und kreativ sind, eine hohe Vorstellungskraft und liberale Werte haben, Wert auf künstlerischen Ausdruck legen und sprachlich fit sind. Menschen mit einer Vorliebe für intensive Musikstile wie Heavy Metal und Punk scheinen dagegen offen für Neues, sensationslustig, impulsiv und sportlich zu sein. Und Personen mit einer Vorliebe für zeitgenössische Musik wie Pop, Rap und Dance zeichnen sich Studien zufolge durch Geselligkeit, den Wunsch nach Anerkennung, mehr geschlechterbezogene Vorurteile, den Glauben, attraktiv zu sein und eine freizügigere Einstellung gegenüber Sex aus.
Ernüchternd war eine Analyse von Schäfer und Mehlhorn (2017), die 28 solcher Studien zusammenrechneten und zu dem Ergebnis kamen, dass Charaktereigenschaften kaum für den Musikgeschmack einer Person verantwortlich sind. Jedoch führten Anderson und Kolleg*innen (2021) kürzlich eine spannende Studie durch, die das genaue Gegenteil zeigte. Besonders an dieser Studie war, dass eine gewaltige Menge Daten aus dem echten Leben gewonnen werden konnte, indem drei Monate lang erfasst wurde, welche Musik die Proband*innen auf Spotify hörten. Persönlichkeitseigenschaften wurden durch musikalische Vorlieben und Hörgewohnheiten mittel- bis sehr genau vorhergesagt. Vorhersage meint dabei: Wir schauen uns an, welche Musik eine Person auf Spotify hört, und können dann „vorher-“sagen, wie sie ist, also was ein Persönlichkeitstest bei ihr ergibt. In der Studie aus den USA zeigte sich:
Gewissenhafte Menschen hören mehr Old Country, Soul, Country, Funk, Blues, Jazz, Easy Listening und R&B. Ihre Musik klingt romantischer, motivierender, optimistischer, bewegender und lebendiger. Leichtfertige Menschen hören dagegen mehr Emo, Punk, Neurofunk, Comedy, Metro, Indie, Alternative, Rock, Modern Rock, Death Metal, Hip-Hop, House, japanische, epische und koreanische Musik. Sie bevorzugen eher trotzige, aggressive, eindringliche, grüblerische, düstere und energetisierende Songs.
Menschen, die offen für Erfahrung sind, hören mehr Folk, klassische Musik, Organic, Atmospheric, Chill, Jazz, Afropop, Electro, Indie, Blues, Deep House, Prog, Doom, New Age, Synth, Reggae, Funk, Soul, Metro, Gothic, Easy Listening, Classic Rock, Alternative, Black Metal, französische, brasilianische und epische Musik. Von der Stimmung her ist ihre Musik eher düster, melancholisch, friedlich, ernst, zärtlich, gefühlvoll und ergreifend. Menschen, die verschlossen gegenüber Erfahrung sind, lassen mehr Country und Pop laufen und mögen eine aufgeregte oder trotzige Stimmung in Songs mehr.
Freundliche Menschen hören öfter Jazz, Soul, Funk, R&B, Blues, Easy Listening, Country, Old Country, Latin, Reggaeton, christliche, karibische, brasilianische und KINDERMUSIK. Ihre Lieblingssongs klingen tendenziell romantisch, gefühlvoll, anspruchsvoll, unbeschwert, motivierend, zärtlich, lebendig, bewegend und feinfühlig. Streitlustige Personen hören hingegen mehr Punk, Emo, Death Metal, japanische Musik, Gothic, Metal, Alternative, Rock, Comedy, Black Metal und Blast. Ihr Musikgeschmack scheint aggressivere, trotzigere und eindringlichere Musik zu umfassen.
Ängstliche Menschen neigen zu Emo, Punk, Modern Rock, Metro, Indie, Alternative, Rock, Soundtrack, Pop, Organic, koreanischer, epischer und japanischer Musik. Sie mögen es lieber eindringlich, grüblerisch, trotzig, düster und sehnsüchtig. Ausgeglichene Menschen hören mehr Blues, Old Country, Soul, Funk, Country, Jazz, brasilianische und karibische Musik.
Gesellige Menschen hören häufiger Country, R&B, Carribean, Funk, Reggaeton, Soul, Latin, Old Country, mexikanische Musik, Hip-Hop, Jazz, Reggae und Rio Funk. Sie mögen es eher sinnlich und „cool“. Zurückhaltende Menschen hören mehr epische Musik, Punk, Rock, Gothic, Emo, Death Metal, japanische Musik, Metal, Alternative, Modern Rock, Comedy, Blast, Black Metal, Atmospheric, Doom, Synth und Prog. Ihre Musik klingt grüblerischer, aggressiver, düsterer, eindringlicher und trotziger als die Musik geselligerer Menschen.
Mit diesen Studienergebnissen ist jedoch noch längst nicht alles gesagt. Es braucht unbedingt weitere Studien, die im Großen untersuchen, mit welchen persönlichen Eigenschaften unterschiedliche Musikgeschmäcker einhergehen.
Was wir hören, bestimmt, wie wir sind
Über zwei Drittel der Musik, die wir am Tag hören, suchen wir selbst aus. Wir sollten uns dabei nicht nur fragen, warum wir sie ändern, sondern auch, wie sie uns verändern kann. Musik, die in Geschäften und Restaurants läuft, kann beeinflussen, was wir kaufen, wie schnell wir uns bewegen und wie lange wir bleiben. So wurden in einer Studie in einem Weinladen mehr deutsche Weine verkauft, wenn im Hintergrund deutsche, und mehr französische Weine, wenn französische Musik lief.
Nicht weniger verblüffend ist, dass Musik zu mehr Aggression, Vorurteilen und feindseligem Verhalten führen kann. In einer Studie hatten Teilnehmende, die spannungsgeladene Musik mit gewalttätigen Texten hörten, mehr feindselige Gefühle und aggressive Gedanken als Teilnehmende, denen gewaltfreie Musik vorgespielt wurde. In einer anderen Studie verhielten sich Teilnehmer, die frauenfeindlicher Musik ausgesetzt waren, aggressiver gegenüber einer Frau als gegenüber einem Mann.
Musik kann negative Folgen haben, die meisten Gefühle, die sie im Alltag auslöst (und das tut sie ziemlich oft), sind Studien zufolge aber positive. Musik verändert uns, von unserer Gehirnaktivität über unsere Gefühle und Gedanken bis hin zu körperlichen Reaktionen und Handlungen.
Musik und das Älterwerden
Kann das Alter unserer Liebe zur Musik etwas anhaben? Bonneville-Roussy und Kolleg*innen (2013) haben gezeigt, dass Musik mit dem Alter unwichtiger wird, Erwachsene Musik aber immer noch wichtig finden. Junge Leute hören häufiger Musik als Erwachsene mittleren Alters. 18-jährige Studienteilnehmende hörten mit 25 Stunden pro Woche am meisten Musik, 58-jährige mit 12 Stunden am wenigsten. Es zeigte sich auch, dass junge Leute in vielen verschiedenen Situationen Musik hören, Erwachsene hingegen vorrangig im Privaten. Der Trost: Die Liebe zu bestimmten Musikstilen scheint mit dem Alter zwar abzunehmen, andere Musikrichtungen scheinen mit steigendem Alter jedoch beliebter werden. Nach der Studie von Bonneville-Roussy und Kolleg*innen (2013) sieht das so aus:
Schlichte Musik – unkomplizierte, entspannende, unaggressive, akustische Musik (z. B. Country, Folk) – wird im Laufe des Lebens immer beliebter. Das Interesse für anspruchsvolle Musik – inspirierend, intelligent, komplex und dynamisch (Klassik, Oper, Jazz) – wächst in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter sogar stark, steigt dann langsamer an, und bleibt ab etwa 50 gleich. Auch Vorlieben für sanfte Musik – romantische, entspannende, langsame, ruhige Musik (z. B. Soft Rock, R&B) –, steigen während der Jugendzeit stark an. Sie flachen zu Beginn des jungen Erwachsenenalters leicht ab und sinken im Alter von 30 bis Anfang 50, nehmen von den späten 50ern bis 65 aber wieder zu.
Anders verhält es sich mit intensiver und zeitgenössischer Musik. Intensive Musik – verzerrt, laut, aggressiv (Rock, Punk, Heavy Metal) – wird zu Beginn der Pubertät sehr beliebt, fällt dann in der Beliebtheit aber noch während der Jugend etwas ab, bleibt im jungen Erwachsenenalter eine Zeitlang gleich und nimmt ab Anfang, Mitte 30 deutlich ab. Die Vorliebe für zeitgenössische Musik – schlagkräftig, elektrisch, energisch und nicht traurig (Rap, Electronica, Pop) –, wird ebenfalls während der Jungend größer, bleibt im jungen Erwachsenenalter zunächst gleich und nimmt ab Anfang, Mitte 30 ab.
Weshalb ist Musik zuerst so wichtig und wird dann unwichtiger, warum verändert sich der Musikgeschmack im Laufe des Lebens? Wie schon gesagt: Musik hilft jungen Menschen bei der Selbstfindung. Später haben Personen Familie, eine Arbeit, woraus sie ableiten, wer sie sind. Sie stehen nicht mehr unter dem enormen Druck, ihren Platz in der Welt zu finden und brauchen Musik nicht mehr so sehr. Unterschiedliche Musikvorlieben könnten Teil dieser Entwicklung sein: Jugendliche, für die es in erster Linie darum geht, sich selbst zu entdecken und Unabhängigkeit zu erlangen, sprechen laute, stimulierende, rebellische Sounds an. Diese Zeit ist von mehr Ängstlichkeit und Aufgeregtheit sowie weniger Gewissenhaftigkeit und Freundlichkeit geprägt; entsprechend impulsiv und aufsässig klingt ihre Musik. Für junge Erwachsene dreht sich die Welt oft um die Liebe, um Nähe, Intimität und Beziehungen. Sie hören mehr romantische, positive Musik, zu der man tanzen kann. Mit dem Alter werden Personen fürsorglicher und pflichtbewusster, was sich in wärmerer, besinnlicherer Musik widerspiegelt. Zugleich werden sie offener für Erfahrung – und damit für ideenreichere, unkonventionelle Musik.
Musik und die Liebe
Wenn uns die Liebe erfasst, ergreift uns oft auch die Musik – und umgekehrt! Wir finden andere attraktiver, die einen ähnlichen Musikgeschmack haben wie wir, denn vermutlich teilen sie unsere Werte, sehen die Welt ähnlich, sind wie wir. Darüber hinaus kann ein bestimmter Musikgeschmack anziehen oder abstoßen: In einer Studie fanden Männer Frauen, die Klassik hörten, anspruchsvoll und attraktiv, während sie Frauen, die Heavy Metal mochten, für rebellisch und weniger attraktiv hielten. Beste Freund*innen haben oft einen ähnlichen Musikgeschmack und das offenbar nicht nur, weil sie einander beeinflussen. In einer Studie freundeten sich Schüler*innen mit ähnlichen Musikvorlieben im ersten Schuljahr eher miteinander an. Womöglich, weil wir wirklich sind (oder werden), was wir hören.
Quellen
Anderson, I., Gil, S., Gibson, C., Wolf, S., Shapiro, W., Semerci, O. & Greenberg, D. M. (2021). “Just the Way You Are”: Linking Music Listening on Spotify and Personality. Social Psychological and Personality Science, 12(4), 561–572. https://doi.org/10.1177/1948550620923228
Bonneville-Roussy, A., Rentfrow, P. J., Xu, M. K. & Potter, J. (2013). Music through the ages: Trends in musical engagement and preferences from adolescence through middle adulthood. Journal of personality and social psychology, 105(4), 703–717. https://doi.org/10.1037/a0033770
Rentfrow, P. J. (2012). The Role of Music in Everyday Life: Current Directions in the Social Psychology of Music. Social and Personality Psychology Compass, 6(5), 402–416. https://doi.org/10.1111/j.1751-9004.2012.00434.x
Rentfrow, P. J. & Gosling, S. D. (2006). Message in a ballad: the role of music preferences in interpersonal perception. Psychological science, 17(3), 236–242. https://doi.org/10.1111/j.1467-9280.2006.01691.x
Schäfer, T. & Mehlhorn, C. (2017). Can personality traits predict musical style preferences? A meta-analysis. Personality and Individual Differences, 116, 265–273. https://doi.org/10.1016/j.paid.2017.04.061
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