Psychologie & Therapie

In Teufels Küche: Alkohol

Ich gehöre zu den sieben Prozent, die keinen Alkohol trinken (Global Drug Survey, 2021). Oft werde ich gefragt, warum und antworte dann sehr knapp. Ich habe viele Gründe, aber vielleicht schulde ich sie der Welt, die Rechtfertigung verlangt für alles, was nicht der Norm entspricht. Vor allem, wenn es mir so vorkommt, als sei nicht ich merkwürdig, sondern die Norm.

Ich bin den Freund*innen aus meiner Jugend dankbar, die sich bei Geburtstagen für Softdrinks und auf dem Weihnachtsmarkt für Kinderpunsch entschieden. Das war für mich ein guter Schutz. Als Kind bekam ich mit, wie Verwandte tranken – Probleme mit Alkohol sind in meiner Verwandtschaft nicht selten. Das heißt, auch ich habe mit höherer Wahrscheinlichkeit Gene, die Alkoholabhängigkeit begünstigen. Anfällig für Alkohol sind nicht nur Draufgänger auf Partys, sondern gerade auch sensible oder gehemmte Menschen. Sie benutzen ihn quasi als Medizin gegen Ängste und Traurigkeit – eine Selbsttherapie, die alles noch schlimmer macht.

Senis ir Jūra, Meeresfrüchte-Restaurant in Kaunas, Litauen.

Während eines Praktikums in einer Einrichtung für Suchtkranke habe ich nicht nur die Folgen von Alkohol gesehen. Auch Cannabis schien Menschen Job und Partner*innen verlieren, Stimmen hören, übernatürliche Dinge sehen, mit einem Messer durch die Stadt laufen oder die eigene Mutter töten zu lassen. Eine Sucht beginnt in der Regel mit einer positiven Einstellung gegenüber einer Droge. Ich entwickelte eine Abneigung gegenüber allen bewusstseinsverändernden Substanzen (worunter Alkohol und Cannabis fallen). Ein kritischer Blick auf Drogen war mir als Kind zum Teil vermittelt worden, mitunter aber auch nicht. Warum war immer wichtiger gewesen, dass ich nichts rauchte, als dass ich nichts trank? Der Schaden, den Alkohol für die Allgemeinheit anrichtet, ist knapp dreimal so hoch wie der von Tabak (Nutt et al., 2010). Er ist höher als der Schaden jeder einzelnen anderen Droge von Heroin über Kokain bis LSD. Interessant dabei ist, dass das Leid, das anderen zugefügt wird, bei Alkohol sogar noch höher ist als das für die Trinkenden selbst. Es ist eben nicht „ganz allein dein Bier“.

Auf keinen Fall verurteile ich Alkoholkranke, Cannabisabhängige und andere Drogensüchtige. Sie sind Opfer einer Reihe von angeborenen und äußeren Faktoren, ihre Sucht macht sie nicht zu schlechten Menschen. Es ist die Droge, unter deren Einfluss sie andere verletzen, Dinge kaputt machen oder einfach nur selbst leiden. Psychische Erkrankungen sind oft mit Scham und Vorurteilen behaftet, aber vermutlich geht keine andere Erkrankung so sehr mit Verleugnung und Verdrängung einher wie eine Sucht. Wenn sich jemand eingesteht, dass er oder sie ein Problem hat, Hilfe sucht und mit anderen darüber spricht, ist das sehr stark.

Eine Alkoholerkrankung liegt schon vor, wenn man nur zwei der folgenden Kriterien erfüllt:

  1. Man trinkt mehr oder länger Alkohol als beabsichtigt.
  2. Man verwendet viel Zeit auf das Trinken und Erholen von Alkohol.
  3. Man trinkt wiederholt Alkohol und versagt bei wichtigen Pflichten.
  4. Man setzt den Alkoholkonsum trotz zwischenmenschlicher Probleme fort.
  5. Man bringt sich durch Alkoholkonsum in bestimmten Situationen (beispielsweise beim Autofahren) wiederholt in Gefahr.
  6. Man trinkt weiter, obwohl man um ein körperliches oder psychisches Problem weiß, das dadurch verschlimmert wird.
  7. Man braucht mehr Alkohol, um die erwünschte Wirkung zu erzielen.
  8. Man hat Entzugssymptome.

Etwa jede*r Achte entwickelt im Leben ein Alkoholproblem, Männer sind viermal so häufig betroffen wie Frauen. Unter Männern sind alkoholbezogene Erkrankungen die häufigsten psychischen Leiden.

Aus dem Chemielabor: Ethanol, umgangssprachlich Alkohol, trägt die Gefahrensymbole „Gesundheitsgefahr“ und „Entzündbar“ und verursacht schwere Augenreizungen. Chemiker*innen tragen eine Schutzbrille, wenn sie damit arbeiten. Dennoch werden außerhalb des Labors Unmengen davon getrunken: Im Jahr 2016 wurden in Deutschland 99 Millionen Hektoliter alkoholische Getränke verkauft.

Wütend bin ich auf Politiker*innen, die Alkohol und Cannabis in aktuellen Debatten verharmlosen. Ich frage mich, ob sie wissen, was im Psychologiestudium in einer einzigen Vorlesung behandelt wird – oder zumindest einen Blick in den Alkoholatlas geworfen haben, der vom Deutschen Krebsforschungszentrum 2017 herausgegeben wurde und im Internet frei verfügbar ist.

Alkohol ist krebserregend. Und das nicht erst ab einer bestimmten Menge, sondern ab dem ersten Tropfen. Bis zu doppelt so hoch ist das Risiko für Darmkrebs, Brustkrebs, Leberkrebs, Mundhöhlenkrebs, Rachenkrebs, Kehlkopfkrebs und Speiseröhrenkrebs schon ab 12 Gramm Alkohol am Tag (0,25 Liter Wein oder 0,5 Liter Bier enthalten ca. 20 Gramm). Das Risiko für Speiseröhrenkrebs erhöhen 1,8 Liter Bier täglich fast ums Siebenfache, das ist vergleichbar mit mehr als 20 Zigaretten am Tag, wobei die Kombination aus beidem ein knapp 50-fach erhöhtes Risiko ergibt.

Alle 15 Minuten kommt es auf deutschen Straßen zu einem Unfall unter dem Einfluss von Alkohol. Das wundert nicht vor dem Hintergrund, dass die Promillegrenze in Deutschland für Autofahrer*innen bei 0,5 liegt, obwohl schon ab 0,3 Promille (also zumeist schon bei einem Glas) eine relative Fahruntüchtigkeit besteht. Fahrradfahrer*innen wägen sich bis 1,6 Promille sicher, sofern sie bis dahin keine Fahrunsicherheit zeigen – wie?

Alkohol leitet nicht nur Unfälle, sondern auch Straftaten, Gewalttaten und Vergewaltigungen ein. Im Jahr 2015 standen zehn Prozent aller Tatverdächtigen bei ihrer Tat unter Alkoholeinfluss. Alkohol führt zu Angst, ungewollten Schwangerschaften, Verwahrlosung, Wohnungs- und Arbeitsplatzverlust, Schulden, Eifersucht, Trennung, Gedächtnisstörungen und Depression, zu Krampfanfällen, Selbstmord und Tod. Im Jahr 2012 gingen 21 079, das heißt 2,3 Prozent aller Todesfälle in Deutschland auf den Konsum von Alkohol zurück (Litauen liegt hierbei mit sage und schreibe 30,9 Prozent EU-weit vorne).

Devils Museum in Kaunas, Litauen: Der Teufel gilt als Hersteller von Wodka, der auf Litauisch auch „Teufelstropfen“ genannt wird. Es heißt, der Teufel verführe den Menschen zum Alkohol, unter dessen Einfluss dieser Sünden begehe.

Bei Jugendlichen führt Alkoholkonsum zu einer Abnahme des Gehirnvolumens, was es ihnen zukünftig schwerer macht, Denkaufgaben zu lösen, sich Dinge zu merken und Handlungen zu kontrollieren. Dennoch dürfen sie in Deutschland im Beisein der Eltern ab 14 Jahren Alkohol trinken, ab 16 Jahren allein so viel Bier, Wein und Sekt, wie sie wollen.

In Studien zur Wirksamkeit verschiedener Methoden zur Vorbeugung von Sucht hat sich gezeigt: Erziehungs- und Überzeugungsarbeit bringt nichts. Weniger Alkoholwerbung bringt schon etwas; die Bierwerbung im Kino oder bei Fußballspielen wegzulassen, kostet nicht viel. Noch wirksamer sind Besteuerung und Erhöhung der Preise, die ebenfalls wenig kosten. Die Steuer auf Wein ist in Deutschland und einigen anderen EU-Ländern längst überfällig. Ebenso wirksam (und kostengünstig) haben sich Einschränkungen der Verfügbarkeit durch gesetzliche Regelungen gezeigt. Dies spricht zugleich klar gegen eine Legalisierung von Cannabis.

Regelungen zu Alkohol am Steuer haben ebenfalls ein großes Potential. Das absolute Alkoholverbot für Fahranfänger*innen in der Probezeit und unter 21 Jahre ließ die Anzahl der alkoholisierten Fahrer, die an einem Unfall beteiligt waren, in dieser Gruppe um neun Prozent sinken. Bei diesem Ergebnis frage ich mich, warum kein absolutes Alkoholverbot am Steuer für alle Altersgruppen durchgesetzt wird.

Jährlich entstehen der Gesellschaft in Deutschland Kosten von rund 39 Milliarden Euro aufgrund schädlichen Alkoholkonsums. Ich verlange von der Politik, dass sie sich an solchen Zahlen und wissenschaftlicher Forschung orientiert. Was ich fordere, ist ein Verbot des Verkaufs von Alkohol und anderer schädlicher Substanzen, die unser Denken, Fühlen und Handeln verändern, uns abhängig und krank machen.

Anmerkung: Ehrenlehrer hat einen sehr informativen Beitrag über die Chemie und Gefahren von Alkohol und dessen Abbauprodukten im Körper verfasst. HIER geht es zu seinem Text Alkohol: Ein Gefahrstoff in aller Munde.

Quellen

Hermann, C. (2018). 08 Substanzkonsumstörungen. Vorlesung „Klinische Psychologie II“, Gießen.

Nutt, D. J., King, L. A. & Phillips, L. D. (2010). Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis. The Lancet, 376(9752), 1558–1565.

Schaller, K., Kahnert, S. & Mons, U. (2017). Alkoholatlas Deutschland 2017. Pabst Science Publishers.

https://www.globaldrugsurvey.com/wp-content/uploads/2021/12/Report2021_global.pdf

2 Kommentare

  • Ehrenlehrer

    Bei solchen Zahlen kann man nur schlucken. Wenn der Gesetzgeber beispielsweise abwägt zwischen einerseits 9% weniger Unfällen und andererseits der Freiheit, am Steuer mehr als 0,0 Promille Alkohol im Blut zu haben – wie nur kann er sich dann für letzteres entscheiden?

    Und so viele Alltagsweisheiten kursieren: „Alkohol sei in geringen Mengen ja sogar gesund“, wird beispielsweise oft behauptet. Erwiesenermaßen „ab dem ersten Tropfen krebserregend“ spricht eine andere Sprache.

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