Psychologie & Therapie

Psychotherapieausbildung: Beginn der Ambulanz-Zeit

Als ich neun Jahre von dieser Ausbildung entfernt war, hat eine kluge Frau zu mir gesagt: „Wenn du dein Problem angehen möchtest, solltest du herausfinden, warum du es hast. Nur wenn du weißt, woher es kommt, kannst du etwas dagegen tun.“
„Ich glaube, es ist Charakter“, habe ich erwidert.
Davon ging ich aus. Inzwischen sehe ich auch die Erfahrungen, die im Zusammenspiel mit angeborenen Faktoren zu meinen Problemen geführt haben, zu Grundannahmen und veränderbaren Gedanken und Verhaltensweisen.
„Wenn es Charakter ist, kannst du nichts daran ändern“, lautete damals die Antwort.
Damit war das Thema durch. In der Annahme, es wäre meine Persönlichkeit, brauchte ich mich nicht anstrengen, etwas anders zu machen.
Später habe ich mich für die Verhaltenstherapie-Ausbildung entschieden. Ich wollte nicht nur nach den Ursachen von Problemen suchen, ohne etwas zu verändern. Vielmehr wollte ich mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und Patient:innen dabei unterstützen, ihr Verhalten zu ändern und darüber Probleme zu lösen.
Allein am Verhalten herumzuschrauben, ohne das Problem zu verstehen, reicht in der Psychotherapie jedoch nicht aus. Da schauen wir auch in der Verhaltenstherapie einmal in die Vergangenheit, stellen Lernerfahrungen heraus und entwickeln eine Vorstellung davon, wie das Problem entstanden ist. Verhaltenstherapie geht den folgenden Leitfragen nach:
1. Was habe ich?
2. Woher kommt es? / Warum habe ich es?
3. Warum geht es nicht weg?
4. Was tun?
Gerade beginne ich, Menschen zu dabei helfen, diese Fragen zu beantworten und ihre eigenen komplexen Probleme zu begreifen und anzugehen, in wöchentlichen Sitzungen à 50 Minuten. Manchmal kann ich kaum glauben, dass es jetzt schon so weit ist. Andererseits wurde ich 2004 eingeschult und bin dieses Jahr schon 20 Jahre im (Aus-)Bildungssystem. Wie lange wird mein Vater mir noch sagen: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“?
Ich will schneller vorankommen. Der letzte Ausbildungsabschnitt verlief zäh: Nach meinem Klinikjahr habe ich vier Monate an der zu meinem Ausbildungsinstitut gehörenden Ambulanz gearbeitet, Sprechstunden protokolliert, Akten gelöscht, Fragebogen getestet und Sprechstundentermine vereinbart. Etwa zehn Stunden pro Woche, Pflichtstunden für die Ausbildung. Während andere etwa für ein gesichertes Einkommen oder übernommene Versicherungskosten weiter in der Klinik gearbeitet haben, hatte ich Freizeit en masse. Trotz Seminaren, Selbsterfahrung und der Vorbereitung auf die Zwischenprüfung. Ich wollte das so, für mein Wohlbefinden und um mich jetzt besser auf die ambulanten Patient:innen konzentrieren zu können, mehr gleichzeitig behandeln zu können und zügiger mit der Ausbildung durchzukommen.
Nach bestandener Zwischenprüfung durfte ich in der Ambulanz meine ersten zwei Patient:innen anfordern. Bis zu unserem ersten Termin hat es drei bis vier Wochen gedauert. Weitere Patient:innen bekomme ich erst, wenn ich mit beiden die sechs Probesitzungen gemacht habe. Übernächstes Quartal wird mir der Lohn ausgezahlt, der bei den wenigen Sitzungen momentan nicht mal die monatlichen Ausbildungskosten deckt. Auch finanziell eine Durststrecke.
Auf der anderen Seite gibt es Gründe, mit nur zwei Patient:innen starten zu dürfen. Viel Organisatorisches, in das ich mich reinfuchsen muss, von der Überweisung für den Hausarzt über das diagnostische Interview bis zur Antragsstellung. Vor der ersten Stunde war ich von mir selbst überrascht, dass ich so nervös war. Als hätte ich die Einzelgespräche in der Klinik mit der Zeit nicht gelassener genommen. Umso größer die Euphorie, als es geklappt hat.
Dann die Videoaufnahmen für die Supervision. Auf den Aufzeichnungen wirke ich anders, als ich mich selbst wahrnehme, zögerlicher und höher sprechend. Hier und da drücke ich mich ungenau aus, benutze Füllwörter. Bin ich zu langsam? Oder zu schnell? Nehme ich zu viel vorweg? Oder sage ich zu wenig?
Es beruhigt mich, dass andere aus meinem Ausbildungskurs meine Unsicherheiten teilen. Ich übe mich in Selbstmitgefühl, bei vorteilhafter Selbstkritik. Wofür die Ausbildung, wenn es nichts zu verbessern gäbe?
Die bisherigen neun von 600 Stunden waren schön, spannend, abwechslungsreich, sinnvoll, lehrreich, anspruchsvoll – und eben auch anstrengend. Wenn ich nach zwei Sitzungen die Treppen zu meiner Wohnung hochlaufe, spüre ich erst, wie geschafft ich für den restlichen Tag bin. Ich setze mich an den Schreibtisch, am nächsten Morgen manchmal schon vor dem Frühstück – wie ich es sonst nur vom Schreiben kenne. Bereite die nächste Sitzung vor. Gehe mögliches Therapiematerial durch. Ich bin dankbar, sowohl kreativ als auch analytisch mit Menschen arbeiten zu dürfen. Und andere Vormittage fürs Freibad zu haben.

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