#20 Medizinische Versorgung und ein Brief aus Hogwarts / Medical care and a letter from Hogwarts
See below for the English version.
Manchmal werde ich gerne krank. Mein Körper sagt: Es ist genug. Ich könnte eine Woche auf dem Sofa gut gebrauchen. Die letzten Wochen waren schön, aber anstrengend. Zwei Tage lang merke ich, dass meine Nase läuft. Ich fühle mich schnell erschöpft. Meine Zimmergenossin quält sich bereits im Bett mit einer dicken Erkältung. Auf den Fluren hören wir andere niesen und husten. Die Französinnen, mit denen wir das Bad teilen, sind schon seit einem Monat krank, gehen aber trotzdem auf Partys und machen Unternehmungen.
Meine Zimmergenossin entscheidet sich, zum Arzt zu gehen. Sie fährt zum Klinischen Stadtkrankenhaus Vilnius, vertut sich aber im Gebäude und landet im Medical Diagnostic and Treatment Centre. Dort ist kein Termin mehr frei – diese sollten online gebucht werden. Sie wird in das naheliegende Stadtkrankenhaus geschickt. Hier wird sie untersucht, es wird Blut abgenommen, Bakterien werden festgestellt und ihr wird ein Antibiotikum verschrieben. Mit ihrer europäischen Krankenversicherungskarte muss sie nichts zahlen, nur das Antibiotikum aus der Apotheke. Hinterher sagt sie, nächstes Mal werde sie einen Termin im Gesundheitszentrum machen, das Krankenhaus sei für Notfälle. Die Notrufnummer in Litauen ist übrigens wie in Deutschland 112.
Einen grippalen Infekt zu bekommen scheint auch im Ausland kein Problem zu sein. Nachts bekomme ich Halsweh, meine Nase schließt sich und verwandelt sich am nächsten Morgen in einen Springbrunnen. Gut so, sage ich mir. Ich freue mich auf Gemütlichkeit, gehe in die Apotheke und hole mir Sinupret, das die Krankheit vielleicht nicht verkürzen, aber zumindest Kribbeln und Druck um die Nase herum lindern könnte. Seit eineinhalb Jahren war ich nicht mehr erkältet und doch fühlt es sich vertraut an, erinnert mich an meine Kindheit. Ich muss nichts mehr machen, Masterarbeit, organisatorische Pflichten, Univeranstaltungen, der Drang, herumzurennen und zu entdecken, alles hält an.
Ich gestalte, was ich an eigenem Raum habe – mein Bett -, zu einem Sofa um und muss an die Studie denken, in der Patienten in einem gut ausgestatteten Einzelkrankenhauszimmer schneller gesund wurden als Patienten in einem gewöhnlichen Zweierbettzimmer. Es gab auch eine andere Studie, die gezeigt hat, dass sich Menschen in wärmeren Wohnungen raumeinnehmender bewegen, sie bessere soziale Beziehungen pflegen und seltener krank sind. Die Heizungen im Wohnheim sind noch immer kälter als jede Leiche.
Darüber, andere Menschen um mich herum zu haben, bin ich im Grunde sehr froh. Soziale Unterstützung und Kontakte sind nachgewiesen heilsam. Einsamkeit ist so schädlich wie 15 Zigaretten am Tag. Jemand anderen im Raum zu haben, eineinhalb Bettbreiten zwischen uns, jede in ihrem Bett mit Laptop, Handy oder E-Book beschäftigt, ist gemütlicher als allein.
Jemand hat Märchen der Gebrüder Grimm für mich eingelesen. Jeden Tag höre ich mindestens eins. Wie könnte ich schneller gesund werden, als damit (auch wenn manche recht brutal sind)? Und mit Harry Potter. Gebannt habe ich heute den zweiten Band fertiggelesen und einen Entschluss gefasst: Meine kleine Schwester wird nächstes Jahr im April elf, so alt wie Harry, als er nach Hogwarts kam. Ich werde ihr den ersten Band schenken, ob sie will oder nicht. Einmal hat sie geäußert, dass sie Harry Potter nicht mag. Auch ich war als Kind voreingenommen: Die Bücher kamen mir zu dick vor und irgendwie war ich schon immer misstrauisch gegenüber Hypes. Aber der Hype ist berechtigt! Ich bin begeistert und wünschte, ich hätte die Bücher schon als Kind gelesen, mit der Fantasie, die meine Schwester noch hat. Aber so ist es auch super. Auch für Erwachsene absolut empfehlenswert!!
Das Wetter ist toll und jeden Tag gehe ich zumindest für eine Stunde spazieren. Als ich heute an der Rezeption vorbeikam, lag da ein Brief auf dem Tresen. Mein Herz machte einen Sprung. Er war an mich adressiert. Ich steckte ihn in die Innentasche meiner Jacke und nahm ihn zu einer meiner neuen Lieblingsstellen mit. Am Fluss setzte ich mich auf einen warmen Baumstamm und zog ihn hervor.
Auf dem Kuvert stand unter meinem Namen die folgende Adresse:
Mit echtem Siegel verschlossen. Vorsichtig öffnete ich den Brief und zog das pergamentgefärbte Schreiben hervor.
Viele haben sich schon gewünscht, einen Brief aus Hogwarts zu bekommen. Manche meiner Bekannten waren so jung, dass sie glaubten, sie würden eines Tages wirklich ein solches Schreiben in den Händen halten:
Mir wurde dieser zauberhafte Moment zuteil. Danke dafür.
—
Sometimes I like to get sick. My body says: enough is enough. I could do with a week on the sofa. The last few weeks have been nice, but exhausting. For two days I notice that my nose is running. I feel exhausted quickly. My roommate is already torturing herself in bed with a thick cold. In the corridors we hear others sneezing and coughing. The French girls we share the bathroom with have been sick for a month, but still go to parties and do things.
My roommate decides to go to the doctor. She goes to the Vilnius City Clinical Hospital, but gets lost in the building and ends up at the Medical Diagnostic and Treatment Centre. There is no appointment available there – these should be booked online. She is sent to the nearby city hospital. Here she is examined, blood is taken, bacteria are detected and she is prescribed an antibiotic. With her European health insurance card, she doesn’t have to pay anything, just the antibiotic from the pharmacy. Afterwards she says that next time she will make an appointment at the health centre, the hospital is for emergencies. By the way, the emergency number in Lithuania is 112, just like in Germany.
Getting a flu seems to be no problem abroad either. I get a sore throat at night, my nose closes up and turns into a fountain the next morning. Good thing, I tell myself. I look forward to being cosy, go to the pharmacy and get some Sinupret, which might not shorten the illness, but at least relieve tingling and pressure around the nose. I haven’t had a cold for a year and a half and yet it feels familiar, reminds me of my childhood. I don’t have to do anything anymore, master’s thesis, organisational duties, university events, the urge to run around and discover, everything stops.
I rearrange what space I have of my own – my bed – into a sofa and have to think of the study in which patients in a well-equipped single hospital room recovered faster than patients in an ordinary two-bed room. There was also another study that showed that people in warmer homes are more space-consuming, they have better social relationships and they are sick less often. The heaters in the dorm are still colder than any body.
I am basically very happy about having other people around me. Social support and contacts are proven to be healing. Loneliness is as harmful as 15 cigarettes a day. Having someone else in the room, one and a half bed widths between us, each busy in her bed with laptop, mobile phone or e-book, is cosier than being alone.
Someone has been reading Grimm Brothers fairy tales for me. Every day I listen to at least one. How could I get better faster than with that (even if some are quite brutal)? And with Harry Potter. I finished reading the second volume today and made a decision: My little sister will be eleven next year in April, the same age as Harry when he came to Hogwarts. I’m going to give her the first volume whether she likes it or not. She once expressed that she didn’t like Harry Potter. I too was prejudiced as a child: The books seemed too thick to me and somehow I have always been suspicious of hypes. But the hype is justified! I am thrilled and wish I had read the books as a child, with the imagination my sister still has. But it’s great that way too. Absolutely recommendable for adults too!!!
The weather is great and every day I go for a walk for at least an hour. When I went by the reception today, there was a letter on the counter. My heart leapt. It was addressed to me. I put it in the inside pocket of my jacket and took it to one of my new favourite places. At the river, I sat down on a warm tree trunk and pulled it out.
The envelope had the following address under my name:
Sealed with a genuine seal. Carefully I opened the letter and pulled out the parchment-stained letter.
Many have wished to receive a letter from Hogwarts. Some of my acquaintances were so young that they believed they would one day really hold such a letter in their hands:
I was granted this magical moment. Thank you for it.