120 Stunden in Barcelona – was für ne Gaudí!
Das 120-Stunden-Ticket ist unsere Eintrittskarte in die Metro und in die Stadt. Ich bin noch nie so viele Rolltreppen gefahren. Im Erdinnern ist es heiß, draußen angenehm. Barcelona ist wie ein vollgepackter Koffer, der zu platzen droht. Tourismusfeindliche Graffitis zieren Hauswände und Wege. Wie Teilchen steigen wir nach oben, bereit, alles zu entdecken, was es in 120 Stunden zu entdecken gibt. Und das ist:
1. Die Architektur von Gaudí
Allen voran die Sagrada Família, die mir vorkommt wie die höchste Kirche der Welt – aber erst, wenn sie jemals vollendet ist, wird sie es tatsächlich sein. Auch Casa Batlló, Casa Milà und Casa Vicens sehen wir nur von außen und den Park Güell gar nicht aufgrund der hohen Eintrittspreise. Wer das Geld hat – es soll sich lohnen (dann dran denken, diese Attraktionen schon Wochen vorher zu buchen). Ich lese auf Wikipedia nach, wer Antoni Gaudí war. Nach einem einzigen Korb entschied er sich für ein asketisches Leben, aber vielleicht war er auch schwul. Mit knapp 73 Jahren wurde er von einer Straßenbahn erfasst und starb, nachdem er aufgrund seiner verwahrlosten Erscheinung nicht richtig notfallmedizinisch versorgt worden war. Er war auf dem Weg zur Baustelle der Sagrada Família gewesen, an einem Tag im Jahr 1926, so wie ich jetzt, 99 Jahre später, ebenfalls in einfachen Klamotten. Die Straßenbahn ist inzwischen Autos gewichen, was ich schade finde. Die Sagrada Família jedoch gleicht einer Zeitreise: An einer Seite, die bereits zu Gaudís Zeit gebaut wurde, ist sie angegraut vom Smog, an der Südseite sandsteinfarben und teilweise nigelnagelneu. Ich fühle, Teil einer zukünftigen Vergangenheit zu sein, als wäre ich selbst bei einem Kirchenbau dabeigewesen – was ich hiermit bin.



2. Aussichtspunkte: Bunkers, Montjuïc und Arenas
Die Sagrada das erste Mal erblickt habe ich von den Bunkers del Carmel aus, am ersten Abend. Am nächsten Morgen fahren wir zum Friedhof des Montjuïc, der auf dem Hügel so großflächig angelegt ist, dass Straßen hindurchführen. Hier stehen Mausoleen, manche in Form von Kapellen. Die Grabinschriften benennen fast immer Familien – „Família …“ – nicht Einzelpersonen. Sagrada Família – die Familie ist heilig. Vom Friedhof aus beobachten wir, wie Frachtschiffe mit Containern beladen werden. Auf den Montjuïc fährt eine Seilbahn, die extra kostet, und eine Bergbahn, die im 120-Stunden-Ticket enthalten ist. Wir nehmen die Bergbahn für eine weitere Aussicht von der anderen Seite. Und dann nehmen wir noch die Rolltreppen in den Arenas de Barcelona, einer alten Stierkampfarena, die heute ein Einkaufszentrum ist und ebenfalls eine Aussichtsplattform bietet.



3. Buchläden und Bibliotheken
Besonders beeindruckt bin ich von der Biblioteca de Catalunya, die im historischen Gebäude eines ehemaligen Krankenhauses untergebracht ist, aber auch die Biblioteca Francesca Bonnemaison und die Buchladen-Cafés Llibreria la Central und Laie Llibreria Cafè gefallen mir. Hier ist es sogar ruhiger als auf dem Friedhof über dem Fabrikhafen, abgeschirmt von Menschen, die auf offener Straße schweißen und schwitzen.



Übrigens: Ein weiterer Gebäudekomplex des nicht mehr als Krankenhaus genutzten Hospital de la Santa Creu i Sant Pau ist ebenfalls sehenswert, auch wenn Gaudí es nicht geschaffen hat, sondern darin gestorben ist.

4. Kulinarisches
In der Markthalle Mercat de la Boqueria, in der die Auswahl von Leckereien riesig ist, starte ich mit einem Burrito und Erdbeer-Kokos-Saft in den Tag. Von Croissants mit Pistaziencreme über eine berüchtigte Sauerteigpizza, Churros mit Hot Chocolat in der holzvertäfelten Granja Dulcinea hin zu veganen Tapas in der gemütlichen Bar Bubita und einem Cookie mit Schoko- und ebenfalls Pistaziencreme futtere ich mich durch wie die Raupe Nimmersatt.

5. Stadtviertel
Auch sehr lecker: Das Tiramisu im Viertel Gràcia, genauer gesagt auf dem Plaça de la Vila de Gràcia, der mir noch besser gefällt als der von Palmen gesäumte, angeblich schönste Platz Barcelonas Plaça Reial im gotischen Viertel Barri Gòtic. Während ich mir das Tiramisu auf der Zunge zergehen lasse, beobachte ich Jungs beim Fußballspielen und frage mich, wo die ganzen Mädchen sind. Über den Plaça del Sol, auf dem ein „Spielplatz“ mit einem einzigen Klettergerüst aus Plastik enttäuscht, geht es zum Plaça de la Virreina, den ich im Schatten seiner Kirche und Platanen zum schönsten Platz Barcelonas ranke. Wir laufen an einer Markthalle vorbei, die gerade gebaut wird – auch hierbei sind wir Zeug*innen eines historischen Moments.


El Raval soll das gefährlichste Viertel Spaniens sein. Hier klettern wir auf die riesige Bronzekatze El Gato de Botero (aufgrund der so entstehenden Knochenbrüche womöglich am gefährlichsten) und kommen tagsüber an den geschlossenen Fensterläden der Bar Marsella vorbei, die schon Picasso und Hemingway besuchten. Daran grenzt der bekannte Boulevard la Rambla an. Oberhalb davon gehen wir bei UNIQLO und Massimo Dutti shoppen. Östlich von la Rambla liegt das gotische Viertel, wo wir einen Taschendiebstahl beobachten. El mundo nace en cada beso um die Ecke der Kathedrale von Barcelona stellt als Mauerkunstwerk einen Kuss dar, zusammengesetzt aus unzähligen Bildern, die Freiheit ausdrücken. Im Viertel el Born besuchen wir die Kirche Santa Maria del Mar (Eintritt frei) und das Moco Museum mit einzelnen Exemplaren von Banksy, Keith Haring, Andy Warhol und Salvador Dalí neben anderer moderner Kunst. Die Freikarten ins Picasso-Museum, die montags um 10 Uhr gebucht werden können, haben wir leider verpasst.



Und dann laufen wir durch das Hafenviertel la Barceloneta zum Strand. Bunte Wäsche weht an den Balkonen.

6. Strand
Schon im April ist der Strand voll, selbst das hintere Stück Playa de Bogatell, das wir nur mit dem Bus oder in einer halben Stunde zu Fuß erreichen. Sandskulpturen säumen die Promenade; Feuer brennt jeweils im Maul eines Drachen und im Bauch eines Hundes. Auf einer Mole sind Gesichter in Steine geritzt. Wir kaufen uns zwei Kugeln Eis, gehen mit den Füßen ins Meer, spazieren barfuß den nassen Streifen entlang und ergattern eine Stelle direkt am Wasser, bauen uns einen Damm aus Sand gegen die alle Viertelstunde überbordenden Wellen und beobachten ein Rad schlagendes Kind sowie zwei Terrier. Das Weibchen springt fidel ins Wasser, das der alt und gebrechlich wirkende Rüde scheut. Ein Mann wirft erst Sand ins Wasser, um den Hund dorthin zu locken – vergeblich. Schließlich wirft er den Rüden selbst ins Wasser. Als er untertaucht und von einer Welle überrollt wird, habe ich kurz Angst, dass er es nicht wieder an die Oberfläche schafft.


7. Parc de la Ciutadella
Südlich des Triumpfbogens Arc de Triomf, der zur Weltausstellung 1888 erbaut wurde, liegt der Parc de la Ciutadella, den ich erst am letzten Tag richtig entdecke. Die Orangerie und anderen Gewächshäuser habe ich schon vorher betreten, aber erst jetzt stehe ich in einem grünen Vogelparadies vor einem wunderschönen Brunnen, lausche einer Gitarre spielenden Sängerin, beobachte ein Tanzpaar in einem Pavillon und grüne Papageien, die Mädchen von der Hand fressen. Über einen See fahren Ruderboote. Wir setzen uns auf die Bank einer Halbinsel. Uns gegenüber sitzt ein schwangeres Paar, daneben füttert ein bereits ergrauter Mann einen noch älteren Mann im Rollstuhl. Wir lesen, als sich uns drei Gänse nähern und sich vor uns positionieren. Unglaublich, wie viel Aufsehen sie erregen. Eine bemüht gestylte Frau um die 60 fotografiert sie mit dem iPhone aus der Nähe und streckt ihnen die Hand entgegen, was sie auch noch witzig findet, als die Gänse zu fauchen beginnen. Ein Junge trampelt absichtlich nah an ihnen vorbei und der Mann an seiner Hand greift nicht ein. Ein anderer Junge wirft ihnen einen Chip hin, der die Gänse nicht interessiert. Schließlich legen die Gänse sich vor uns hin und ab jetzt wachen wir über ihren Schlaf, für den Fall, dass noch weitere versuchen, sich ihnen zu nähern – und das tun manche tatsächlich für ein Foto. Von Respekt vor den Tieren keine Spur. Es fällt uns schwer, zu gehen. Als wir es doch tun, beginnen die Gänse zu schnattern.


Weitere Highlights: Das Hochsprunggerät, wo sich junge Männer batteln, und mein Freund das höchste Schild abklatscht, Kartenspiele und Spaghetti in der Ferienwohnung zu viert und wie wir über Wörter im Reiseführer, die wir nicht kennen, Tränen lachen. War schön mit euch, Freunde!

Ein Kommentar
Anonym
Tolle Geschichte, gut wie immer erzählt.