Psychologie & Therapie

Praktische Tätigkeit 1 in einer Tagesklinik – Resümee

Im mich spiegelnden Zugfenster bin ich gealtert. Ein Jahr Tagesklinik von 8 bis 16 Uhr plus Pendeln hat mich gezeichnet, aber im positiven Sinn. Jetzt heißt es Abschied nehmen von meiner ersten Stelle, Patient*innen und Kolleg*innen, die ich täglich gesehen und mit denen ich eng zusammengearbeitet habe. Ich werde den multidisziplinären Austausch vermissen. Auf dem Tisch des Dienstzimmers stehen wie so oft, wenn freitags Patient*innen entlassen werden, Süßigkeiten, diesmal: Schokoriegel, Gummibärchen und selbstgebrannte Mandeln.

„Was nehmen Sie aus der Stunde, dem Tag, der Woche, der Zeit in der Tagesklinik mit?“, habe ich so oft gefragt.

Häufige Antworten waren: „Grenzen wahrnehmen, Pausen machen, Nein sagen, mich abgrenzen, im Hier und Jetzt sein, Gefühle zulassen, für mich einstehen, auf meine Bedürfnisse und Selbstfürsorge achten.“

Jetzt stelle ich mir diese Frage selbst. Was nehme ich mit?

Ich nehme mit, wie individuell Menschen sind und wie sehr sie doch profitieren können von der Erfahrung, dass andere ähnliche Probleme haben wie sie oder wie eine Patientin es einmal ausgedrückt hat: „Dass ich nicht der einzige Alien bin.“

Die am häufigsten gestellten Diagnosen waren Depressionen, aber auch Ängste, Suchterkrankungen, PTBS und Persönlichkeitsstörungen kamen vor. Auch wenn Depression in der Regel die Hauptdiagnose war, habe ich immer neue Menschen mit anderen biografischen Hintergründen und Persönlichkeiten kennengelernt, sodass es bis zuletzt spannend blieb. Schade, dass ich nicht weiß, wie es mit jedem und jeder Einzelnen der aktuellen zehn Patient*innen meiner Behandlungsgruppe weitergeht.

Der Fokus „meiner“ Tagesklinik liegt auf interaktioneller Gruppentherapie mit der Idee, dass zwischenmenschliche Schwierigkeiten im Leben auch in der Tagesklinik deutlich werden und diese einen Rahmen für Erkenntnisse, korrigierende Erfahrungen und Übung bietet. Typische Fragen in Gruppensitzungen waren: „Was macht die Aussage von X mit Ihnen? Erkennen Sie sich darin wieder? Wie nehmen Sie X wahr? Was möchten Sie X mitgeben?“

Ich habe nach Gefühlen, Gedanken, Erfahrungen, Wochenendplänen und Zielen gefragt, Grundannahmen hinterfragt, Modelle angezeichnet, Geschichten vorgelesen, achtsame Spaziergänge, Duftreisen und Teezeremonien gemacht, Charakterstärkenbingo, „Ich packe meinen Koffer ein“ und andere Spiele gespielt. Bei dem wunderbaren Fragenspiel einer Kollegin habe ich selbst mal mehr, mal weniger tiefsinnige Fragen beantwortet, über die ich vorher nie nachgedacht hatte. Für die letzte Achtsamkeitsübung habe ich Laub gesammelt und zum Ende der Stunde aufschreiben lassen, wofür die Patient*innen dankbar sind.

Ich bin dankbar für meinen Mut. Vor einem Jahr hatte ich noch Angst davor, eine Gruppe zu leiten. Ich habe am eigenen Leib erfahren, welche Berge es versetzen kann, einfach zu machen. Immer wieder wurde ich mit meiner Unsicherheit konfrontiert, einmal auch erschüttert, aber ich lerne durchs Tun. Ich bin immer noch eher unsicher, aber schon viel sicherer geworden. Überdies habe ich festgestellt, dass ich es nicht allen recht machen kann, und meine Ansprüche diesbezüglich heruntergeschraubt.

Fortschritte bei den Patient*innen zu sehen und diese zu unterstützen, war wunderschön. Manchmal hatte ich Gänsehaut, nicht zuletzt bei den Verabschiedungen, für die manche Patient*innen Worte gefunden haben, über die ich nur staunen konnte.

In der Tagesklinik geht es darum, auf das Danach und Weiterbehandlungen vorzubereiten, zu stabilisieren und Perspektiven zu geben. Eine ähnliche Funktion hatte die Tagesklinik auch für mich in der Ausbildung.

Ich freue mich darauf, in den nächsten vier Monaten meiner zweiten Praktischen Tätigkeit in einer Ambulanz mit wenigen Wochenstunden und somit mehr selbstfürsorglichen Aktivitäten nachgehen zu dürfen. Das habe ich mir nach einem Jahr Vollzeit, vor der Zwischenprüfung im März und bevor die Ambulanz-Zeit mit eigenen wöchentlichen Patient*innen beginnt, verdient.

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