Psychologie & Therapie

Woher rührt der Fremdenhass?

Wenn in den Nachrichten von einem geheimen „Vertreibungsplan“ der AfD die Rede ist, ein jugendlicher Geflüchteter von einem Polizeibeamten erschossen wird oder sich Menschen für Abschiebung aussprechen, vor Muslimen warnen oder sich über den hohen „Ausländeranteil“ beschweren, entsteht bei mir Beklemmung in der Brust. Ich habe Psychologie auch deshalb studiert, um Menschen zu verstehen. Es ist eine Strategie, zu rationalisieren, Erklärungen zu finden, beide Seiten zu sehen. Das kann Gefühle in Schach halten. Ich finde es aber wichtig, auf andere wütend und von ihnen enttäuscht sein zu dürfen, ihr Verhalten nicht direkt zu rechtfertigen. Dies möchte ich in diesem Beitrag auf keinen Fall tun. Ich bin wütend. Ich fühle mich hilflos. Ich bin traurig. Daneben finde ich das Erleben und Verhalten von Menschen spannend und möchte ihren Beweggründen auf die Spur gehen: Was veranlasst manche dazu, Menschen anderer Religion, Herkunft oder Hautfarbe oder die Demokratie abzulehnen?
Ich denke an ein Seminar zu sozialpsychologischen Aspekten von Frieden und Konflikt zurück, das ich vor drei Jahren besucht habe. Darin haben wir uns mit Studien beschäftigt, in denen beispielsweise untersucht wurde, welche Faktoren Einstellungen zur Migration von Geflüchteten beeinflussen. Zum Beispiel scheint hierbei die Bedrohungswahrnehmung eine entscheidende Rolle zu spielen. Dabei wird unterschieden zwischen Bedenken hinsichtlich kultureller Unterschiede, Finanzen, krimineller Handlungen, Konflikten in der Gesellschaft, wachsender Fremdenfeindlichkeit und der Betreuung von Geflüchteten. All diese Bedrohungsarten lösten in einer Studie von Landmann et al. (2019) negative Emotionen aus und wurden mit negativen Einstellungen gegenüber Geflüchteten und der Unterstützung restriktiver Migrationspolitiken in Verbindung gebracht.
Des Weiteren scheinen Zugehörigkeit und Marginalisierung relevant. Die Wahrnehmung, selbst am Rand der Gesellschaft zu stehen, scheint mit Fremdenfeindlichkeit zusammenzuhängen. Offene Vorstellungen über Zugehörigkeit stehen engeren Ansichten über Zugehörigkeit im Hinblick auf Herkunft und Religion gegenüber. Beschäftigungsfähigkeit, Religion und Fluchtgrund Geflüchteter zeigen sich ebenfalls von Bedeutung: Unterstützung kommt eher Asylbewerbern zu, die über eine höhere Beschäftigungsfähigkeit verfügen und eher christlich als muslimisch sind. Politisch, religiös oder ethnisch Verfolgte werden eher angenommen als Personen, die auf der Suche nach besseren wirtschaftlichen Möglichkeiten einwandern (Bansak et al., 2016). Weitere Einflüsse betreffen den gesellschaftlichen Kontext, das politische Klima, Ressourcenknappheit etc. Insgesamt liegt ein komplexes Zusammenspiel zahlreicher Faktoren nahe.
Ein Studienprojekt meiner Alma Mater (Back et al., 2022) hat zwischen „Entdeckern“ und „Verteidigern“ unterschieden: Entdecker fühlen sich durch Fremde nicht bedroht, sondern sehen Migration als Chance, sich selbst als gut vertreten, sind eher zufrieden mit der Demokratie und vertrauen eher der Regierung. Verteidiger hingegen fühlen sich eher durch Muslime und Geflüchtete bedroht, gesellschaftlich weniger anerkannt, sind unzufriedener mit der Demokratie und misstrauischer gegenüber der Regierung. Sie bevorzugen populistische Parteien, wünschen sich einen „starken Führer“ und sind anfälliger für Verschwörungstheorien. Es handelt sich um zwei entgegengesetzte Positionen, die zusammen mit weiteren, gemischteren Profilen gefunden wurden. In Deutschland nahmen 14 % der Befragten die Position der Entdecker und 20 % die der Verteidiger ein. Die beiden Positionen werden über grundlegende Bedürfnisse nach Sicherheit (Verteidiger) und Exploration (Entdecker) erklärt, wobei davon ausgegangen wird, dass bei einer Person eines der Bedürfnisse im Vordergrund steht. Verstärkt habe sich der Konflikt der beiden Gruppen einerseits durch gegenseitige Abgrenzung und Abwertung, wobei sicherheitsorientierte Menschen als „aggressiv-rückständige Fremdenfeinde“ und veränderungsorientierte Menschen als „überheblich-lebensfremde Missionare“ wahrgenommen würden. So werde aus einem grundsätzlich gewinnbringenden Unterschied ein unverhandelbarer Konflikt. Bisherige politische Reaktionen hätten die Polarisierung weiter verstärkt. Die Autoren empfehlen, Unterschiede in den Bedürfnissen zwischen Entdeckern und Verteidigern ernst zu nehmen, ohne polarisierte Positionen einzunehmen oder eine der beiden Seiten abzuwerten.
Ich persönlich finde eine klare Positionierung meinerseits dennoch wichtig: Ich bin für Demokratie und eine offene, kulturell vielfältige Gesellschaft.

Referenzen
Landmann H, Gaschler R, Rohmann A. What is threatening about refugees? Identifying different types of threat and their association with emotional responses and attitudes towards refugee migration. Eur. J. Soc. Psychol.. 2019;49:1401–1420. https://doi.org/10.1002/ejsp.2593
K Bansak et al., Science 10.1126/science.aag2147 (2016).
M. Back et al., Von Verteidigern und Entdeckern, essentials, https://doi.org/10.1007/978-3-658-36808-1 (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

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