Früher oder später endet das Fieber
Wir sind jung gestorben, um für immer jung zu sein, aber ihr hört uns immer seltener. Vor zehn Jahren liefen wir noch auf den meistgehörten Radiosendern. Jetzt spielt ihr uns auf den Sendern, die ihr mit euren Großeltern assoziiert. Wir trauen unseren Augen kaum, als ein Paar Mitte 20 den Club betritt, durch den wir heute Abend grooven.
Die Frau erkennen wir wieder. Mit 12 hat sie allein mit uns vorm Spiegel getanzt. Sie wollte mit jemandem tanzen. Jetzt tauchen wir nicht mehr in ihren Playlists auf, obwohl es sie offenbar wieder erwischt hat. Nicht ohne Grund hat sie ihren Freund auf diese 80er-Party gezerrt, wo der Altersdurchschnitt 60 Jahre beträgt, was sie zwar vorher nicht wusste, aber doch zu erwarten war. Ihr Freund schüttelt belustigt den Kopf über eine wandelnde Lichterkette, die zwar Aufmerksamkeit bekommt, indem sie sich als Weihnachtsbaum anzieht, aber nicht das, was sie wirklich sucht. Zwei Hampelmänner mit Geweih und Zipfelmütze, die nach ihnen die Jüngsten im Raum sind, sind ebenfalls auf der Suche.
Sie schafft es, ihn zumindest an den Rand der sich nur langsam füllenden Tanzfläche zu locken. Seinen Standardschritt tanzt selbst hier niemand mehr. Die meisten sind zu uns gehüpft, aber im Fernsehen haben wir Sprünge und Drehungen gezeigt, die denen von Eiskunstläuferinnen gleichkommen. Sie glaubt, dass derartige Pirouetten Schmetterlinge machen und versucht sich an einer. Er fängt sie auf.
Unsere populärsten Songs enttäuschen sie. Ihr fehlt die Gemeinschaft der Sommercamps, auf denen sie Frieden mit den damaligen Charts geschlossen hat.
Selbst diejenigen, die mit uns zusammen jung waren, bilden keine Einheit. Ihr Wunsch, die alten Zeiten zurückzuholen, hindert sie am Hier und Jetzt. Heraufbeschwören ist nicht dasselbe wie Entdecken. Nachdem unsere Körper zu Knochen und Asche zerfallen sind, besteht unsere einzige Freude darin, entdeckt zu werden, aber hier passiert es nicht.
Unsere Enttäuschungswut richtet sich auf die Barkeeper. Es stehen nicht deshalb so viele hinter den Theken, weil insgesamt so viele Tigeraugen erwartet wurden, sondern weil so viele lieber trinken als zu tanzen und sich nur dann bewegen, wenn sie etwas getrunken haben. Dabei erschweren die Tische mitten im Raum, an denen das Publikum zähe Sanduhren in Form von Drinks leert, das Tanzen. Dabei könnt ihr euch bei der Lautstärke doch am besten tanzend verstehen.
Einen gelungenen Übergang zu einem Song, den sie vor 13 Jahren entdeckt hat, müssen wir dem DJ lassen. Vielleicht ist sie nur hier, weil sie wider aller Erwartung gehofft hat, diesen Moment zu erleben. Vielleicht ist es mehr ihre persönliche Zeitreise als der Sprung in eine Vergangenheit, in der wir existiert haben, sie aber nicht.
„Woo“, ruft sie mit Whitney im Chor. Der Moment lässt auch uns hoffen.
Als Mädchen hat sie das Gestern schon einmal zum Heute gemacht. Wir sehen sie auf den Mann zuspringen, der für sie ein Risiko eingeht, so, wie sie es sich früher gewünscht hat.