Literatur

28. August 2020

„it is funny, you will be dead some day. / By you the mouth hair eyes,and i mean / the unique and nervously obscene // need;it’s funny. They will all be dead“ – E. E. Cummings

Goethe wäre an diesem Tag 271 Jahre alt geworden. Du wirst heute 24. Du sitzt jetzt mit Freunden auf der Terrasse und genießt die letzten Stunden deines Geburtstags. Ich wäre gerne dabei, mitfeiernd, dass es dich gibt. Es ist ein Wunder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du am Tag deiner Geburt ein winziges, schrumpeliges Geschöpf warst, wie Goethe, wie jeder, wie ich. Du musst schon mit Lachfalten auf die Welt gekommen sein.
Ich kann auch schwer fassen, dass du der Junge auf der Videokassette warst, die wir uns vor einiger Zeit zusammen angesehen haben. Meine Lieblingsszene ist die, in der du in einem Kartonhaus sitzt.
„Na, bist du die böse Hexe im Lebkuchenhaus?“, fragt dein Vater, die Kamera auf den Karton gerichtet.
Im Karton rührt sich nichts. Dein Vater fragt etwas anderes und du streckst den Kopf heraus.
Du antwortest etwas und fügst hinzu: „Aber ich bin die liebe Hexe.“
Ich mag diese Szene so, weil sie auf den Punkt bringt, was über die Aufnahmen hinweg deutlich und an jedem Tag in deinem Leben für andere spürbar wird.
Der Lichtstrahl, der über den Zeitstrahl wandert, hat Goethe in Dunkelheit gelassen, hat dich als Baby und als kleinen Jungen im Dunkeln zurückgelassen, aber beleuchtet dich nun als verzaubernden, liebenswürdigen Mann. Es ist wunderbar, dass es dich jetzt gerade gibt, die Gegenwart genau jetzt auf uns gerichtet ist; dass ich in deiner Zeit lebe und in dieser vierten Dimension mit dir zusammen sein kann.

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