Literatur

Traumberuf: Synchronsprecher

Es heißt, die Stimme sei das Erste, was man von einem Menschen vergesse. Über ein Jahrzehnt nach seinem Tod höre ich die Stimme meines Großvaters noch in mir nachhallen. Auch die Stimmen meiner ehemaligen Klassenkamerad*innen kann ich zurückholen. Wobei – bei vielen aus der Grundschule fällt es schwer. Ich weiß noch recht gut, wie sie aussahen, aber wie sie sich anhörten? Zugegeben, bei den meisten habe ich keine Ahnung mehr. Und die Stimme meines Großvaters ertönt auch nur noch dünn in meinem Gedächtnis, in einer schwachen, hohen Frequenz, immer fröhlich, immer dieselben Sprüche oder Kosenamen, die er uns gab.

Ich hätte gerne alles behalten, was er sagte und wie es klang, hätte gerne eine Kassette mit von ihm gesprochenen Worten im Schrank.

Ich liebe Kassetten. Als Kind habe ich unzählige Hörspiele rauf und runter gehört. Ihre Sprecher sind mir vertraut. Manchmal höre ich heute noch ein Hörspiel zum Einschlafen; die Stimmen geben mir ein Gefühl von Geborgenheit, beruhigen mich oder sind sogar tröstlich. Einige Sprecher, die ich mag, gibt es nicht mehr, waren mitunter schon tot, als ich geboren wurde – aber ihre Stimmen bereiten Menschen heute noch Freude. Andere Sprecher sind schon sehr alt, aber sprechen immer noch Kinder oder Jugendliche und können in diesen Rollen jung bleiben.

Mit dem kleinen Kassettenrekorder nahm ich als Kind auch selbst auf. Ich bin jedes Mal fasziniert, wenn ich auf meine Kinderstimme stoße. Es machte mir offenbar viel Spaß, für spätere oder imaginäre Hörer*innen Klaviertasten anzuschlagen, Märchen zu erzählen, Witze zu machen und zu singen.

Damals dachte ich noch nicht daran, aber wie mir ein bisschen Angst macht, die Stimmen der Menschen, die ich liebe, eines Tages zu vergessen, blicke ich auch dem Verstummen meiner eigenen Stimme mit leisem Schrecken entgegen.

Wundervollen Fantasiefiguren, großartigen Schauspielern meine Stimme geben – damit selbst Wunderbares vollbringen und für lange Zeit viele Menschen unterhalten – das wäre es!

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